Folgend der Bericht von Mama über ihren Aufenthalt in Indien von Dezember 2012 - Januar 2013.
Liebe Leute!
Das war krass. Abenteuer pur. Eintauchen in eine Welt voller
Gegensätze.
Indien gehörte nicht auf meine Reiseliste, genauso wenig wie
dann Kalkutta und Varanasi (Ganges). Aber Gelegenheiten soll man beim Schopfe
packen. Oder?
Manuela und ich fliegen nach Indien, an: Mitternacht des 27.
Dez. auf dem Chhatrapati
Shivaji International Airport in Mumbai, ab: Mitternacht 14. Jan.
2013 (nach 3 Stunden indischem bürokratischen Chaos), 8 Stunden bis München.
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Nach gut 6 Monaten mentaler Vorbereitung in Bezug auf die
sozialen Verhältnisse, das Klima, die Umweltbelastung, die Überbevölkerung, die
gesundheitlichen Aspekte und generelle Vorbehalte – sind die 17 Tage
Indien schon wieder Vergangenheit. Und die Frage: „Wie war’s? Habt
Ihr Euch das so vorgestellt?“ kann ich beileibe nicht gleich und direkt
beantworten.
Indien bietet Eindrücke, die so vielfältig, so konträr, so
mitreißend, so kompakt sind, dass ein Aufenthalt von diesen paar Tagen ein
pauschales Urteil eigentlich nicht erlaubt.
Also, hier mein Bericht:
Mumbai ist die größte Stadt Indiens mir zwischen 12 –
20 Mio. Einwohners einschließlich der Peripherie, das wirtschaftliche Zentrum
(Delhi das politische und Kolkata das kulturelle Zentrum nach Wikipedia). Von
Norden nach Süden der Stadt sind es bestimmt 50 Km, und die Kalina Universität
befindet sich in der südlichen Mitte. Der Campus ist eine Oase der Ruhe, das
Tor zur Stadt ist eine Öffnung zu neugierigen Blicken, zu allen möglichen
Waren, die an den Straßen feil geboten werden, und hier die zweispurigen aber
mindestens dreispurig befahrenen Straßen, beschallt von permanentem Hupen und
ausgefüllt mit Abgasen. Das Überqueren der Straße – wenn man nicht das
Glück hat, auf dergleichen Straßenseite eine Rikscha nehmen zu können, eine
ungewohnte Herausforderung und Adrenalin pur: bei fließendem Verkehr heile die
andere Seite zu erreichen.
Die Gesetze auf der Straße: pulsierender Linksverkehr, die
Kreuzungen sind Ampelgeregelt (manchmal fahren die Autos bei Rot und manchmal
stehen sie bei Grün..), jeder Verkehrsteilnehmer auf Rädern hat das Recht, da
zu sein wo Platz ist auf seiner Straßenseite, zu überholen wenn er meint er ist
dran und als erster am Ziel anzukommen. Darum wird 10 m vor der Kreuzung auch
noch mal Gas gegeben, obwohl alles steht. Kommuniziert wird durch Hupen. Hupen
kann alles bedeuten: ich komme rechts, ich bin links, achte auf mich, ich bin
hier, ich will da hin, ich überhole, komm mir nicht zu nahe… Keiner hupt
nicht, und Feinstaub, Abgase, ökonomisches Fahren – was ist das? Die
Rikschas können mit 7 PS fast 55 kmh fahren, auf jeden Fall reizen die Fahrer das
aus, wenn sie nicht gestoppt werden durch die mehr oder weniger regelmäßig in
die Straßendecke eingebauten Stoppwellen, durch Fußgänger oder Hunde, die dicht
am Verkehr auf den Straßen liegen und schlafen.
Wir fahren an Patchwork-Wänden aus Wellblech vorbei - an den
Straßen oder Bürgersteigen gebaute Unterkünfte, vor denen morgens gewaschen
wird, tagsüber Kinder spielen, Autos repariert werden, Benzin verkauft, Wäsche
aufgehängt, gekocht und gegessen wird, ein Blumenverkauf über ca. 2 km am
Straßenrand, moderne oder auch ältere Hochhäuser, Straßengeschäfte jeglicher
Art und Menschen: Frauen in Saris und Männer eher in westlicher Kleidung,
Schulkinder in Uniform. Seit Monaten hat es nicht geregnet, alles ist grau
bestaubt und trocken. Und überall ist Müll verstreut, Plastiktüten, alles. Wir
fahren durch die Stadt und staunen.
Die unterschiedlichen Stadtteile Mumbais haben auch
individuelle Gesichter: Colaba im Süden sieht gediegen aus mit einem
altenglischen Touch, Bandra ist ausgestattet mit westlichen Boutiquen, Santa
Cruz East mit Bahnstation mit Basaren und Straßenhändlern, die Marine Line
(Straße entlang der Küste nach Süden) gespickt mit Clubs, Hotels und privaten
Schulen, herausragend Dharavi, das Slumviertel - das Kara ja schon beschrieben
hat - mit integrierten Recyclingwerkstätten und eigenen Schulen und
Versorgungseinrichtungen, oder die Wohnvororte an der östlichen Peripherie mit
auch schon dörflichen Charakteren als Beispiele. In Mumbai wird viel Kricket
gespielt.
Wir besuchen einige Kunstausstellungen und Museen und
treffen international orientierte Künstler.
Nach drei Tagen Mumbai fliegen wir über Delhi (6°C) und
Guwahati (Assam) nach Bagdogra, südlicher Flughafen von Sikkim. Das Flugzeug
fliegt entlang der Skyline des Himalaya und wir können mithilfe von
‚Ortskundigen’ erste Fotos von Mount Everest und Kangchenjunga (3.höchster
Gipfel der Erde) machen. Mit einem Jeep fahren wir zu viert (Kara, Marie,
Manuela und ich) nach Gangtok, die Hauptstadt Sikkims, die 120 km nördlich und
ca. 1800 m höher liegt. Für die 120 km benötigen wir knappe vier Stunden, kurz
hinter der Stadt stehen wir eine Stunde im Stau (Rushhour), an der Grenze zu
Sikkim müssen Grenzformalitäten erledigt werden, obwohl Sikkim ein Bundesstaat
Indiens ist (der 22., seit ca. 35 Jahren ist Sikkim kein Königreich mehr), dann
dreht unser Fahrer auf und rast nach o.g. Regeln wie ein Verrückter über die
teils unbefestigten Straßen bzw. Serpentinen, unbeeindruckt von entgegen
kommenden LKWs, uneinsehbaren Kurven, vor uns fahrenden anderen Jeeps, Felsbrocken
auf oder Löchern in der Fahrbahn – die minimal gesicherten tiefen Abhänge
sind dann mit zunehmender Dunkelheit Gott sei Dank nicht mehr zu erkennen.
Wir finden das Mintokling Guest House und treffen uns in der
Stadt mit Kara’s Freunden zum Sylvesterumtrunk.
Gangtok ist nicht so groß (ca. 30 000 Einwohner) und liegt
auf und an einem Berg, hat ein überraschend westliches Flair, die Innenstadt
verfügt über eine saubere und freundliche Fußgängerzone, man sieht neben
wenigen Mönchen mit roten Kutten eher westlich gekleidete Leute mit
nepalischen und tibetischen Gesichtszügen, freundliche Leute. Es gibt eine Gondelbahn, die einzige in
Indien, mit der wir hoch über der Stadt fahren, und einige hübsche
Aussichtspunkte, die wir per Taxi besuchen.
Unser Guest House befindet sich oberhalb der Innenstadt und wir
müssen ziemlich steil hoch (keuch), es ist kalt und wir sind dankbar, dass wir
einen ‚heater’ in unser Zimmer bekommen.
Von Gangtok aus werden viele Trekkingtouren angeboten, und
Wikipedia spricht von immerhin ca. 200 000 Touristen im Jahr. Im nördlichen
Bereich gibt es eine Sperrzone wegen der Nähe zur chinesischen Grenze.
Drei Tage später lassen wir uns mit dem Jeep nach Darjeeling
bringen, eine Stadt (ca. 200 000 Einw.), in deren wunderschöner Umgebung der
bekannte Tee angepflanzt wird (bis hin nach Nepal). Darjeeling liegt in ca.
2200 m Höhe in Bengalen, das heißt nicht mehr in Sikkim. Die Stadt vermittelt
als erstes den Eindruck, es gibt mehr Autos und andere Fahrzeuge als Bewohner,
es ist laut, grau und eng, die Häuser sehen verkommen aus.
Das Highlight ist Tiger Hill, wir stehen dafür um 4 Uhr morgens
auf um 20 Minuten später von einem Jeep aufgepickt zu werden, der uns in einem
Konvoi vieler Jeeps und Taxis auf den 13 km entfernten und 400 m höher
gelegenen Tiger Hill bringt, um den Kangchenjunga und den Mount Everest bei
Sonnenaufgang zu erleben. Der Hügel, der zwischen Sonnenaufgang und Bergmassiv liegt,
ist von Raureif bedeckt und - siehe das Archivbild – uns war entsprechend
kalt. Auf der Aussichtsplattform warten mindestens 250 Schaulustige auf das
Ereignis.
Kara und ich besichtigen eine Teeproduktion (Happy Valley Tea
Estate) und lassen uns von einem
engagierten Mitarbeiter aus der Produktentwicklung informieren, dass grüner,
schwarzer und weißer Tee von einem Teestrauch stammen und wie jeder bearbeitet
wird.
Unser Hotel Tranquility oben am Berg wird geleitet von einem
netten Lehrerehepaar, und wir sind stark aus der Puste, wenn wir es erreichen.
Es ist sauber, ein wenig eng, das Bad in der Größe einer Gästetoilette ist auch
Dusche, das Wasser kalt. In der Nacht gibt es kochend heiße Wärmflaschen, sie
wärmen auf der einen Körperseite, die andere ist kalt, trotz Zwiebellooks auch
in der Nacht frieren wir, die Fenster sind nicht dicht, es friert draußen. Am
Morgen des 3. Tages bringt uns ein Jeep zum Flughafen Bagdogra, der Fahrer
fährt etwas gesitteter durch die schöne Landschaft, gern wäre ich zwischendurch
ausgestiegen, um an den Fluss zu gehen oder mit Muße den Blick auf die Dörfer
zu genießen.
Kolkata, das ehemalige Kalkutta liegt zwar am Ganges bzw.
einem der Mündungsarme, aber noch nicht am Golf von Bengalen, wie ich
fälschlicherweise dachte. Der Flughafen liegt außerhalb der Stadt im Grünen,
wir nehmen ein Prepaid-Taxi, um in die Innenstadt zu gelangen. Der Zubringer
breit und zunächst nicht stark befahren. Unser Hotel befindet sich in einer
Seitenstraße in der Stadtmitte, ich wundere mich, dass es der Taxifahrer
findet.
Einige Straßen weiter befindet sich die Academy Of Fine Arts
mit einer Ausstellung indischer Gegenwartskunst mit interessanten Bildern und Plastiken.
Vor dem Gebäude findet eine Aktion statt zur Vergewaltigung einer jungen Frau
im Norden Indiens, die in Indien wie auch weltweit in der Presse präsent ist.
Beteiligt sind schätzungsweise ein Dutzend Künstler, begleitet wird es durch
ein Kamerateam, wir kommen ins Gespräch mit einem der Initiatoren, der
natürlich interessiert ist an Kontakten nach Deutschland. Eine Galerie in der
Nähe zeigt einen Künstler mit Recyclingexponaten, was gerade in unser eigenes
Thema passt.
Die Straßen Kolkatas unterscheiden sich von denen Mumbais, der
Verkehr wirkt geordneter, die Taxis sind größer und ‚englischer’,
es gibt scheinbar mehr Busse. Dennoch, es ist viel Verkehr und es gibt viele Menschen
auf den Strassen.
Auf den Bürgersteigen befinden sich viele Imbissstände, es
wird gekocht, gebacken und gebraten, und natürlich gegessen. Im Nachklang wirkt
alles ein wenig bedrohlich, die Häuser sind höher, die Seitenstrassen schmal
und dunkel, die Einheimischen scheinen verschlossener.
Früh am Morgen bringt uns ein Taxi durch die malerischen
Märkte an den Straßen mit frischem Fisch, lebenden Hühnern, Orangenpyramiden
und vielfältigem Gemüseangeboten zum Flug nach Varanasi.
Ich denke, es gibt viel zu sehen bzw. zu entdecken in
Kolkata, es sind nur Fetzen an Eindrücken. Später lese ich, dass es im Sommer
wohl erdrückend sein soll wegen der Hitze, Luftfeuchtigkeit, Luftverschmutzung
und die Gefahr einer Infektionskrankheit aufgrund der Umweltprobleme groß ist.
Varanasi am Ganges ist die heiligste Stadt der Hindus mit
rund 1,2 Mio. Einwohnern und liegt fast auf einer Linie zwischen Delhi und
Kolkata .
Ein moderner, sauberer Flughafen weit vor der Stadt empfängt
uns einen Tag später, und nach fast einstündiger Fahrt mit dem Taxi landen wir südlich der Altstadt direkt am Ganges vor einem Ashram (Meditationshaus).
Das Straßenbild wirkt anders, Fahrradrikshaws, je weiter wir in Richtung Ganges kommen, Kühe. Eingeschossige
Häuser, unbefestigte Strassen, und neben dem Ashram ein Feld mit einer Herde
Wasserbüffel. Der Ashram, ein Ruhepol, wird geleitet von einem (geschäftstüchtigen)
Yogalehrer, der auch schon in Berlin bei Yogatagen präsent war, sauber, hell, eisekalt.
Abends wird ein kleines Feuer zum Wärmen angezündet und ein Vorhang zum offenen
Atrium als Schutz gegen die Kälte gezogen. Es gibt auch Essen, wir sitzen am
Tisch in voller Montur mit Mütze, es ist zugig und wir bekommen kalte Füße
– die Schuhe stehen an der Tür. Wir bekommen wieder einen Heizlüfter ins
Zimmer, trotzdem, er hilft wenig. Gut ist: zum Zubettgehen muss man wenig
ausziehen, morgens braucht man wenig anzuziehen. Karamaus erfriert fast auf der
Matratze auf dem Fußboden trotz aller Wolldecken und Schals.
Über Varanasi schreibe ich nicht viel, Kara hat in ihrem
Blog vom 15. November schon berichtet.
Einige meiner aktuellen Eindrücke: Die Atmosphäre am Ganges
ist gedämpft, es ist diesig – man sieht kaum das andere Ufer, kalt, und
nicht viele Leute sind unterwegs. Trotz der Kälte baden einige unentwegte
Männer. Kinder und Jugendliche lassen Drachen steigen.
Wir gehen in die German Bakery, ein kleines Cafe, in dem man
auch auf der Dachterrasse sitzen kann, empfohlen vom Lonely Planet und treffen
andere Touris, mit dem gleichen Reiseführer unterm Arm. Wir decken uns ein mit
Andenken in einem Laden, der ein Projekt unterstützt, Frauen Arbeit zu geben
und Kindern einen Schulaufenthalt zu ermöglichen. Der Versuch (Kara), den
Goldenen Tempel zu besichtigen (Manuela und ich werden währenddessen fast von
einer Kuh überrannt), scheitert an ausgeklügelten Sicherheitsmassnahmen vor dem
Tempel, nicht schlimm. Dafür sehen wir am Fuße der Pizzeria, die Kara gefunden
hat, einen Schlangenbeschörer mit 2 Kobras.
Auf dem ‚Nachhause’weg schieben wir uns mutig an
den Wasserbüffeln vorbei, immer mit dem Blick auf die Kuhfladen am Boden, die
von den Indern gesammelt, zu kleinen Puffer geformt, malerisch gestapelt und
zum Heizen getrocknet werden.
Unserem Organisationsmanager Kara gelingt es am nächsten Tag,
rechtzeitig ein Taxi zum Airport zu bekommen, und auf dem Weg verdeutlicht sich
der halbmondförmige Aufbau der Stadt um den Altstadtkern am Ganges bis zur
Peripherie über die Struktur der Strassen, der Stil der Häuser, dem
Verkehr– es gäbe noch viel zu sehen – aber wir waren am Ganges.
Am 9. Januar sind wir wieder in Mumbai – fast vertraut
-, und weil das Guesthouse für Besucher ausgebucht ist, bleiben wir bei Kara
und Marie – die Mitbewohnerinnen sind unterwegs in Richtung Thailand. Mit
Maries Eltern, die am gleichen Tag aus Deutschland gekommen sind, fahren wir
nach Elephanta Island (eine gute Stunde mit dem Boot), das sich ca. 10 km
östlich von Mumbai befindet. Wir besichtigen Höhlen mit großen, in den Fels
gehauenen Shiva-Skulpturen, fotografieren Affen, und ärgern uns, dass wir als ausländische
Touristen den 10fachen Eintritt bezahlen. Auch wenn die Insel zum
Weltkulturerbe zählt, hat es sich insgesamt nicht unbedingt gelohnt.
Am nächsten Tag geht es mit dem Zug nach Matheran, einem etwa
30 km östlich gelegenem Bergdorf, wir fahren mit dem Taxi nach bewährter Manier
hinauf und wandern den Nachmittag durch den Wald in den Ort. Es ist ein
bisschen staubig, denn uns überholen Gruppen bzw. einzelne Reiter und Pferde –
es gibt hier oben keine Autos-, und wir fahren mit der Schmalspurbahn wieder
zurück zum Eingang des Ausflugsortes.
Die Zugfahrt in Mumbai ist ein Erlebnis für sich, je nach
Anzahl der Reisenden und entsprechenden Vollheit, die Züge halten nur kurz, Ein-
und Aussteigen passiert fast gleichzeitig, die Türen bleiben offen – das
erleichtert das Trittbrett fahren, außerdem kann man, wenn man will, den
Fahrtwind genießen. Die Tickets für die Fahrten werden vorher gekauft (wie bei
uns), Gott sei Dank übernehmen das Kara oder Marie, denn das Gemisch von Hindi
und Englisch irritiert mich total. Auf der Treppe vom Bahnsteig auf den Überweg
in Santa Cruz spricht mich ein Inder von der Seite an: ‚Did you ever see
so many people in your country?’
Das wird uns bewusst, als wir wieder zuhause sind. Was haben
wir eigentlich für Sorgen?
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