Sonntag, 14. April 2013

Mama's Reisebericht

Folgend der Bericht von Mama über ihren Aufenthalt in Indien von Dezember 2012 - Januar 2013.





Liebe Leute! 

Das war krass. Abenteuer pur. Eintauchen in eine Welt voller Gegensätze.
Indien gehörte nicht auf meine Reiseliste, genauso wenig wie dann Kalkutta und Varanasi (Ganges). Aber Gelegenheiten soll man beim Schopfe packen. Oder?
Manuela und ich fliegen nach Indien, an: Mitternacht des 27. Dez. auf dem Chhatrapati Shivaji International Airport in Mumbai, ab: Mitternacht 14. Jan. 2013 (nach 3 Stunden indischem bürokratischen Chaos), 8 Stunden bis München.

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Nach gut 6 Monaten mentaler Vorbereitung in Bezug auf die sozialen Verhältnisse, das Klima, die Umweltbelastung, die Überbevölkerung, die gesundheitlichen Aspekte und generelle Vorbehalte – sind die 17 Tage Indien schon wieder Vergangenheit. Und die Frage: „Wie war’s? Habt Ihr Euch das so vorgestellt?“ kann ich beileibe nicht gleich und direkt beantworten.
Indien bietet Eindrücke, die so vielfältig, so konträr, so mitreißend, so kompakt sind, dass ein Aufenthalt von diesen paar Tagen ein pauschales Urteil eigentlich nicht erlaubt.
Also, hier mein Bericht:
Mumbai ist die größte Stadt Indiens mir zwischen 12 – 20 Mio. Einwohners einschließlich der Peripherie, das wirtschaftliche Zentrum (Delhi das politische und Kolkata das kulturelle Zentrum nach Wikipedia). Von Norden nach Süden der Stadt sind es bestimmt 50 Km, und die Kalina Universität befindet sich in der südlichen Mitte. Der Campus ist eine Oase der Ruhe, das Tor zur Stadt ist eine Öffnung zu neugierigen Blicken, zu allen möglichen Waren, die an den Straßen feil geboten werden, und hier die zweispurigen aber mindestens dreispurig befahrenen Straßen, beschallt von permanentem Hupen und ausgefüllt mit Abgasen. Das Überqueren der Straße – wenn man nicht das Glück hat, auf dergleichen Straßenseite eine Rikscha nehmen zu können,  eine ungewohnte Herausforderung und Adrenalin pur: bei fließendem Verkehr heile die andere Seite zu erreichen.
Die Gesetze auf der Straße: pulsierender Linksverkehr, die Kreuzungen sind Ampelgeregelt (manchmal fahren die Autos bei Rot und manchmal stehen sie bei Grün..), jeder Verkehrsteilnehmer auf Rädern hat das Recht, da zu sein wo Platz ist auf seiner Straßenseite, zu überholen wenn er meint er ist dran und als erster am Ziel anzukommen. Darum wird 10 m vor der Kreuzung auch noch mal Gas gegeben, obwohl alles steht. Kommuniziert wird durch Hupen. Hupen kann alles bedeuten: ich komme rechts, ich bin links, achte auf mich, ich bin hier, ich will da hin, ich überhole, komm mir nicht zu nahe… Keiner hupt nicht, und Feinstaub, Abgase, ökonomisches Fahren –  was ist das? Die Rikschas können mit 7 PS fast 55 kmh fahren, auf jeden Fall reizen die Fahrer das aus, wenn sie nicht gestoppt werden durch die mehr oder weniger regelmäßig in die Straßendecke eingebauten Stoppwellen, durch Fußgänger oder Hunde, die dicht am Verkehr auf den Straßen liegen und schlafen.
Wir fahren an Patchwork-Wänden aus Wellblech vorbei - an den Straßen oder Bürgersteigen gebaute Unterkünfte, vor denen morgens gewaschen wird, tagsüber Kinder spielen, Autos repariert werden, Benzin  verkauft, Wäsche aufgehängt, gekocht und gegessen wird, ein Blumenverkauf über ca. 2 km am Straßenrand, moderne oder auch ältere Hochhäuser, Straßengeschäfte jeglicher Art und Menschen: Frauen in Saris und Männer eher in westlicher Kleidung, Schulkinder in Uniform. Seit Monaten hat es nicht geregnet, alles ist grau bestaubt und trocken. Und überall ist Müll verstreut, Plastiktüten, alles. Wir fahren durch die Stadt und staunen.
Die unterschiedlichen Stadtteile Mumbais haben auch individuelle Gesichter: Colaba im Süden sieht gediegen aus mit einem altenglischen Touch, Bandra ist ausgestattet mit westlichen Boutiquen, Santa Cruz East mit Bahnstation mit Basaren und Straßenhändlern, die Marine Line (Straße entlang der Küste nach Süden) gespickt mit Clubs, Hotels und privaten Schulen, herausragend Dharavi, das Slumviertel - das Kara ja schon beschrieben hat - mit integrierten Recyclingwerkstätten und eigenen Schulen und Versorgungseinrichtungen, oder die Wohnvororte an der östlichen Peripherie mit auch schon dörflichen Charakteren als Beispiele. In Mumbai wird viel Kricket gespielt.
Wir besuchen einige Kunstausstellungen und Museen und treffen international orientierte Künstler.





Nach drei Tagen Mumbai fliegen wir über Delhi (6°C) und Guwahati (Assam) nach Bagdogra, südlicher Flughafen von Sikkim. Das Flugzeug fliegt entlang der Skyline des Himalaya und wir können mithilfe von ‚Ortskundigen’ erste Fotos von Mount Everest und Kangchenjunga (3.höchster Gipfel der Erde) machen. Mit einem Jeep fahren wir zu viert (Kara, Marie, Manuela und ich) nach Gangtok, die Hauptstadt Sikkims, die 120 km nördlich und ca. 1800 m höher liegt. Für die 120 km benötigen wir knappe vier Stunden, kurz hinter der Stadt stehen wir eine Stunde im Stau (Rushhour), an der Grenze zu Sikkim müssen Grenzformalitäten erledigt werden, obwohl Sikkim ein Bundesstaat Indiens ist (der 22., seit ca. 35 Jahren ist Sikkim kein Königreich mehr), dann dreht unser Fahrer auf und rast nach o.g. Regeln wie ein Verrückter über die teils unbefestigten Straßen bzw. Serpentinen, unbeeindruckt von entgegen kommenden LKWs, uneinsehbaren Kurven, vor uns fahrenden anderen Jeeps, Felsbrocken auf oder Löchern in der Fahrbahn – die minimal gesicherten tiefen Abhänge sind dann mit zunehmender Dunkelheit Gott sei Dank nicht mehr zu erkennen.
Wir finden das Mintokling Guest House und treffen uns in der Stadt mit Kara’s Freunden zum Sylvesterumtrunk.
Gangtok ist nicht so groß (ca. 30 000 Einwohner) und liegt auf und an einem Berg, hat ein überraschend westliches Flair, die Innenstadt verfügt über eine saubere und freundliche Fußgängerzone, man sieht neben wenigen Mönchen mit roten Kutten eher westlich gekleidete Leute  mit nepalischen und tibetischen Gesichtszügen, freundliche Leute.  Es gibt eine Gondelbahn, die einzige in Indien, mit der wir hoch über der Stadt fahren, und einige hübsche Aussichtspunkte, die wir per Taxi besuchen.
Unser Guest House befindet sich oberhalb der Innenstadt und wir müssen ziemlich steil hoch (keuch), es ist kalt und wir sind dankbar, dass wir einen ‚heater’ in unser Zimmer bekommen.
Von Gangtok aus werden viele Trekkingtouren angeboten, und Wikipedia spricht von immerhin ca. 200 000 Touristen im Jahr. Im nördlichen Bereich gibt es eine Sperrzone wegen der Nähe zur chinesischen Grenze. 







Drei Tage später lassen wir uns mit dem Jeep nach Darjeeling bringen, eine Stadt (ca. 200 000 Einw.), in deren wunderschöner Umgebung der bekannte Tee angepflanzt wird (bis hin nach Nepal). Darjeeling liegt in ca. 2200 m Höhe in Bengalen, das heißt nicht mehr in Sikkim. Die Stadt vermittelt als erstes den Eindruck, es gibt mehr Autos und andere Fahrzeuge als Bewohner, es ist laut, grau und eng, die Häuser sehen verkommen aus.
Das Highlight ist Tiger Hill, wir stehen dafür um 4 Uhr morgens auf um 20 Minuten später von einem Jeep aufgepickt zu werden, der uns  in einem Konvoi vieler Jeeps und Taxis auf den 13 km entfernten und 400 m höher gelegenen Tiger Hill bringt, um den Kangchenjunga und den Mount Everest bei Sonnenaufgang zu erleben. Der Hügel, der zwischen Sonnenaufgang und Bergmassiv liegt, ist von Raureif bedeckt und - siehe das Archivbild – uns war entsprechend kalt. Auf der Aussichtsplattform warten mindestens 250 Schaulustige auf das Ereignis.
Kara und ich besichtigen eine Teeproduktion (Happy Valley Tea Estate)  und lassen uns von einem engagierten Mitarbeiter aus der Produktentwicklung informieren, dass grüner, schwarzer und weißer Tee von einem Teestrauch stammen und wie jeder bearbeitet wird.
Unser Hotel Tranquility oben am Berg wird geleitet von einem netten Lehrerehepaar, und wir sind stark aus der Puste, wenn wir es erreichen. Es ist sauber, ein wenig eng, das Bad in der Größe einer Gästetoilette ist auch Dusche, das Wasser kalt. In der Nacht gibt es kochend heiße Wärmflaschen, sie wärmen auf der einen Körperseite, die andere ist kalt, trotz Zwiebellooks auch in der Nacht frieren wir, die Fenster sind nicht dicht, es friert draußen. Am Morgen des 3. Tages bringt uns ein Jeep zum Flughafen Bagdogra, der Fahrer fährt etwas gesitteter durch die schöne Landschaft, gern wäre ich zwischendurch ausgestiegen, um an den Fluss zu gehen oder mit Muße den Blick auf die Dörfer zu genießen.  









Kolkata, das ehemalige Kalkutta liegt zwar am Ganges bzw. einem der Mündungsarme, aber noch nicht am Golf von Bengalen, wie ich fälschlicherweise dachte. Der Flughafen liegt außerhalb der Stadt im Grünen, wir nehmen ein Prepaid-Taxi, um in die Innenstadt zu gelangen. Der Zubringer breit und zunächst nicht stark befahren. Unser Hotel befindet sich in einer Seitenstraße in der Stadtmitte, ich wundere mich, dass es der Taxifahrer findet.
Einige Straßen weiter befindet sich die Academy Of Fine Arts mit einer Ausstellung indischer Gegenwartskunst mit interessanten Bildern und Plastiken. Vor dem Gebäude findet eine Aktion statt zur Vergewaltigung einer jungen Frau im Norden Indiens, die in Indien wie auch weltweit in der Presse präsent ist. Beteiligt sind schätzungsweise ein Dutzend Künstler, begleitet wird es durch ein Kamerateam, wir kommen ins Gespräch mit einem der Initiatoren, der natürlich interessiert ist an Kontakten nach Deutschland. Eine Galerie in der Nähe zeigt einen Künstler mit Recyclingexponaten, was gerade in unser eigenes Thema passt.
Die Straßen Kolkatas unterscheiden sich von denen Mumbais, der Verkehr wirkt geordneter, die Taxis sind größer und ‚englischer’, es gibt scheinbar mehr Busse. Dennoch, es ist viel Verkehr und es gibt viele Menschen auf den Strassen.
Auf den Bürgersteigen befinden sich viele Imbissstände, es wird gekocht, gebacken und gebraten, und natürlich gegessen. Im Nachklang wirkt alles ein wenig bedrohlich, die Häuser sind höher, die Seitenstrassen schmal und dunkel, die Einheimischen scheinen verschlossener.
Früh am Morgen bringt uns ein Taxi durch die malerischen Märkte an den Straßen mit frischem Fisch, lebenden Hühnern, Orangenpyramiden und vielfältigem Gemüseangeboten zum Flug nach Varanasi.
Ich denke, es gibt viel zu sehen bzw. zu entdecken in Kolkata, es sind nur Fetzen an Eindrücken. Später lese ich, dass es im Sommer wohl erdrückend sein soll wegen der Hitze, Luftfeuchtigkeit, Luftverschmutzung und die Gefahr einer Infektionskrankheit aufgrund der Umweltprobleme groß ist.





Varanasi am Ganges ist die heiligste Stadt der Hindus mit rund 1,2 Mio. Einwohnern und liegt fast auf einer Linie zwischen Delhi und Kolkata .
Ein moderner, sauberer Flughafen weit vor der Stadt empfängt uns einen Tag später, und nach fast einstündiger Fahrt mit dem Taxi landen wir südlich der Altstadt direkt am Ganges vor einem Ashram (Meditationshaus).
Das Straßenbild wirkt anders, Fahrradrikshaws, je weiter wir in Richtung Ganges kommen, Kühe. Eingeschossige Häuser, unbefestigte Strassen, und neben dem Ashram ein Feld mit einer Herde Wasserbüffel. Der Ashram, ein Ruhepol, wird geleitet von einem (geschäftstüchtigen) Yogalehrer, der auch schon in Berlin bei Yogatagen präsent war, sauber, hell, eisekalt. Abends wird ein kleines Feuer zum Wärmen angezündet und ein Vorhang zum offenen Atrium als Schutz gegen die Kälte gezogen. Es gibt auch Essen, wir sitzen am Tisch in voller Montur mit Mütze, es ist zugig und wir bekommen kalte Füße – die Schuhe stehen an der Tür. Wir bekommen wieder einen Heizlüfter ins Zimmer, trotzdem, er hilft wenig. Gut ist: zum Zubettgehen muss man wenig ausziehen, morgens braucht man wenig anzuziehen. Karamaus erfriert fast auf der Matratze auf dem Fußboden trotz aller Wolldecken und Schals.
Über Varanasi schreibe ich nicht viel, Kara hat in ihrem Blog vom 15. November schon berichtet.

Einige meiner aktuellen Eindrücke: Die Atmosphäre am Ganges ist gedämpft, es ist diesig – man sieht kaum das andere Ufer, kalt, und nicht viele Leute sind unterwegs. Trotz der Kälte baden einige unentwegte Männer. Kinder und Jugendliche lassen Drachen steigen.
Wir gehen in die German Bakery, ein kleines Cafe, in dem man auch auf der Dachterrasse sitzen kann, empfohlen vom Lonely Planet und treffen andere Touris, mit dem gleichen Reiseführer unterm Arm. Wir decken uns ein mit Andenken in einem Laden, der ein Projekt unterstützt, Frauen Arbeit zu geben und Kindern einen Schulaufenthalt zu ermöglichen. Der Versuch (Kara), den Goldenen Tempel zu besichtigen (Manuela und ich werden währenddessen fast von einer Kuh überrannt), scheitert an ausgeklügelten Sicherheitsmassnahmen vor dem Tempel, nicht schlimm. Dafür sehen wir am Fuße der Pizzeria, die Kara gefunden hat, einen Schlangenbeschörer mit 2 Kobras.
Auf dem ‚Nachhause’weg schieben wir uns mutig an den Wasserbüffeln vorbei, immer mit dem Blick auf die Kuhfladen am Boden, die von den Indern gesammelt, zu kleinen Puffer geformt, malerisch gestapelt und zum Heizen getrocknet werden.
Unserem Organisationsmanager Kara gelingt es am nächsten Tag, rechtzeitig ein Taxi zum Airport zu bekommen, und auf dem Weg verdeutlicht sich der halbmondförmige Aufbau der Stadt um den Altstadtkern am Ganges bis zur Peripherie über die Struktur der Strassen, der Stil der Häuser, dem Verkehr– es gäbe noch viel zu sehen – aber wir waren am Ganges.









Am 9. Januar sind wir wieder in Mumbai – fast vertraut -, und weil das Guesthouse für Besucher ausgebucht ist, bleiben wir bei Kara und Marie – die Mitbewohnerinnen sind unterwegs in Richtung Thailand. Mit Maries Eltern, die am gleichen Tag aus Deutschland gekommen sind, fahren wir nach Elephanta Island (eine gute Stunde mit dem Boot), das sich ca. 10 km östlich von Mumbai befindet. Wir besichtigen Höhlen mit großen, in den Fels gehauenen Shiva-Skulpturen, fotografieren Affen, und ärgern uns, dass wir als ausländische Touristen den 10fachen Eintritt bezahlen. Auch wenn die Insel zum Weltkulturerbe zählt, hat es sich insgesamt nicht unbedingt gelohnt.
Am nächsten Tag geht es mit dem Zug nach Matheran, einem etwa 30 km östlich gelegenem Bergdorf, wir fahren mit dem Taxi nach bewährter Manier hinauf und wandern den Nachmittag durch den Wald in den Ort. Es ist ein bisschen staubig, denn uns überholen Gruppen bzw. einzelne Reiter und Pferde – es gibt hier oben keine Autos-, und wir  fahren mit der Schmalspurbahn wieder zurück zum Eingang des Ausflugsortes.
Die Zugfahrt in Mumbai ist ein Erlebnis für sich, je nach Anzahl der Reisenden und entsprechenden Vollheit, die Züge halten nur kurz, Ein- und Aussteigen passiert fast gleichzeitig, die Türen bleiben offen – das erleichtert das Trittbrett fahren, außerdem kann man, wenn man will, den Fahrtwind genießen. Die Tickets für die Fahrten werden vorher gekauft (wie bei uns), Gott sei Dank übernehmen das Kara oder Marie, denn das Gemisch von Hindi und Englisch irritiert mich total. Auf der Treppe vom Bahnsteig auf den Überweg in Santa Cruz spricht mich ein Inder von der Seite an: ‚Did you ever see so many people in your country?’ 

Das wird uns bewusst, als wir wieder zuhause sind. Was haben wir eigentlich für Sorgen?